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BITCOIN & CO.Der Aufstieg der Krypto-Millionäre ist eine Kulturrevolution
Von Felix Stephan | Stand: 11:46 Uhr | Lesedauer: 8 Minuten
Revolutionäre Kraft: Vor lauter Kurssprüngen an der Börse ist fast in Vergessenheit geraten, dass Bitcoin als eher linke Widerstandsbewegung startete
Quelle: Getty Images, Montage WELT
Der Börsenboom des Bitcoin ist in aller Munde. Was dabei in Vergessenheit gerät: Bitcoin ist Teil einer Widerstandsbewegung gegen Überwachung und Kontrolle. Über die Geschichte einer Kulturrevolution.
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Im September 2015 wehte über dem Prager Schloss einmal für kurze Zeit nicht die tschechische Nationalflagge, sondern eine gigantische rote Unterhose. Das tschechische Künstlerkollektiv Ztohoven hatte die Flagge als Zeichen des Protests gegen den damaligen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka entfernt, in 1152 Stücke geschnitten, die Stücke dann mit Bitcoin-Codes versehen und diese Wertgutscheine schließlich im ganzen Land verteilt. Damals lag der Bitcoin-Kurs gerade bei ungefähr 500 Dollar, heute ist ein Bitcoin etwa 11.000 Dollar wert, vor wenigen Wochen war es sogar noch viel mehr. In diesem Sinne war die Aktion von Prag im Nachhinein der vielleicht größte Akt von Wohlstandsumverteilung in der Kunstgeschichte.
Schon der Name Blockchain lässt Aktienkurse explodieren
Das Börsen-Phänomen Bitcoin und die ihm zugrunde liegende Technologie Blockchain produzieren gerade in hohem Takt Nachrichten, die noch vor Kurzem als Finanzmarkt-Satire durchgegangen wären: Als das darbende New Yorker Eistee-Unternehmen Long Island Iced Tea zum Beispiel kürzlich seinen Namen in Long Blockchain Corp. änderte, explodierte der Aktienkurs binnen Minuten. Und als dem amerikanischen Rapper 50 Cent vor Kurzem wieder einfiel, dass er im Jahr 2014 einmal Bitcoin als Zahlungsmittel für sein Album akzeptiert hatte, stellte er fest, dass seine Bitcoin-Sammlung mittlerweile mehr als sieben Millionen Dollar wert war. Er habe völlig vergessen, dass er diesen Unsinn damals gemacht habe, sagte der Musiker.
Ein beliebter Bitcoin-Witz geht so: Ein Junge wünscht sich vom Vater zum Geburtstag einen Bitcoin. Der Vater antwortet: „Was willst du denn mit 12.000 Dollar? Sind 14.000 Dollar nicht ein bisschen viel für dich? Ich habe ja selbst nicht mal 16.000 Dollar.“
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Das ist die größte Bedrohung für den Bitcoin
An den Theken der deutschen Innenstädte hat der Bitcoin die Eigentumswohnung als Gegenstand reuevollen Zurückrechnens jedenfalls längst abgelöst: Wäre man doch damals nur, dann hätte man jetzt und müsste nicht mehr ständig.
Nur ausgerechnet in Berlin werden aus den Erlösen früherer Bitcoin-Investments gerade reihenweise Altersvorsorgen abgesichtert und Weltreisen bezahlt, obwohl man dort mit Anlagestrategien traditionell eher nicht so viel am Hut hat, mit zivilem Ungehorsam allerdings sehr viel. Und dass es sich bei Bitcoin um eine Technologie handelt, die diese beiden Weltzugänge zusammenbringt, ist vielleicht die eigentliche Geschichte.
Gierige Finanzelite
Auch wenn es dieser Tage nicht mehr unbedingt so aussieht: Bitcoin wurde im Jahr 2009 als antiautoritäre Widerstandstechnologie aus der Taufe gehoben, die sich gegen den Abbau von Privatsphäre richten sollte, gegen den Machtmissbrauch einer gierigen Finanzelite, die Kurse manipulierte und Kontrollinstanzen aushebelte und damit im Jahr 2007 die globale Finanzkrise ausgelöst hat. Und weil Berliner für neue Formen antiautoritären Aufbegehrens jederzeit zu haben sind, ist die Bitcoin-Technologie hier eben schon früh zum Einsatz gekommen. Gerade Kreuzberg ist von internationalen Medien in den vergangenen Jahren immer wieder für die Hingabe bestaunt worden, mit der hier über Kryptowährungen nachgedacht wird.
Bitcoin ist eine digitale, dezentrale Anlageform, die zumindest theoretisch qua Voreinstellung keinem Teilnehmer so viel Macht einräumen soll, dass er das System manipulieren könnte. Die Technologie ist aus demselben Geist entstanden, der zuvor das verschlüsselte Browser-Netzwerk Tor hervorgebracht hat, die mittlerweile kompromittierte Transparenz-Plattform WikiLeaks und das sogenannte Darkweb – alles Technologien, die sich der globalen Überwachung widersetzen, die das Internet nun einmal mit sich bringt, und an die sich die meisten Nutzer zwar längst gewöhnt haben, was die Sache aber nicht weniger verheerend macht.
Die Köpfe hinter diesen Technologien lassen sich allesamt mehr oder weniger direkt der sogenannten Cypherpunk-Bewegung zurechnen: Julian Assange, Jacob Appelbaum, Hal Finney, Nick Szabo.
Unbekannter Erfinder
„In einer offenen Gesellschaft benötigt Privatsphäre Verschlüsselung“, heißt es in dem berühmten „Cypherpunk Manifesto“, das der amerikanische Mathematiker Eric Hughes im Frühling 1993 veröffentlichte. „Wir können von Regierungen, Konzernen oder anderen großen, gesichtslosen Organisationen nicht erwarten, dass sie uns aus Mildtätigkeit Privatsphäre gewähren.“ Wenn man Privatsphäre wolle, müsse man sie sich schon selbst holen, im Bereich der Kommunikation genauso wie beim Geldtransfer.
Deshalb ist es auch auf der symbolischen Ebene reizvoll, dass der Erfinder des Bitcoins bis heute unbekannt ist: Der Programmierer oder die Programmiererin, die im Januar 2009 den Abonnenten einer kleinen Special-Interest-Mailingliste die Kryptowährung Bitcoin vorstellte, firmiert bis heute unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto.
Amerikanischer Rentner
Der Stand der Ermittlungen zu Nakamotos Identität sieht derzeit so aus: Im Jahr 2014 präsentierte eine Journalistin des amerikanischen Magazins „Newsweek“ der Weltöffentlichkeit einen gewissen Dorian Nakamoto als den Erfinder des Bitcoins.
Dieser Dorian Nakamoto stellte sich allerdings schnell als japanisch-amerikanischer Rentner heraus, der sich in seiner Freizeit mit Modelleisenbahnen beschäftigte und von dem Begriff „Bitcoin” noch nie gehört hatte. Er trug nur den falschen Namen, wohnte in der falschen Gegend und antwortete ungeschickt auf Journalistenfragen.
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Kurz darauf informierte ein australischer Geschäftsmann namens Craig Wright verschiedene Medien, dass in Wirklichkeit er Satoshi Nakamoto sei. Den endgültigen Beweis allerdings ist er bis heute schuldig geblieben. Trotzdem hat Craig Wright mittlerweile eine treue, evangelikale Gefolgschaft um sich geschart, die ihn trotz aller begründeten Einwände unbeirrt für den Bitcoin-Propheten hält, und mit dieser Nummer ein schönes Vermögen gemacht.
Zutiefst politisch
Und dann gibt es noch die These, dass es sich bei Nakamoto nicht um eine einzelne Person, sondern um ein japanisch-koreanisches Joint Venture der Technologieunternehmen SAmsung, TOSHIba, NAKAmichi und MOTOrola handelt, wofür es aber, außer dem Wortspiel, keinerlei Indizien gibt.
Die Cypherpunks sehen in Nakamoto auch deshalb einen der ihren, weil sich die Bitcoin-Technologie nicht zuletzt als politisches Instrument verstehen lässt.
Die Grundfrage der Cypherpunks: Wie verschwindet man im Netz?
Quelle: Getty Images
Aus der Perspektive der Cypherpunks sieht unsere Gegenwart aus wie ein dystopisches Roman-Setting von Philip K. Dick oder William Gibson: Regierungen und Konzerne errichten gemeinsam eine globale Kontroll- und Überwachungsarchitektur, die sich über bürgerliche Grundrechte und parlamentarische Kontrollinstanzen hinwegsetzt und das Leben seiner Bürger und Kunden bis in die Schlafzimmer hinein durchleuchtet. Wenn man deshalb bürgerliche Grundrechte durchsetzen möchte, braucht man Verschlüsselung und Dezentralisierung, weil man sich auf die Politik nicht verlassen kann.
Neuer Verteilungskampf
Es ist die erste gesellschaftspolitische Debatte, die wirklich global ausgetragen wird und in der Landesgrenzen schon deshalb keine Rolle spielen, weil die Nation im Netz nur als Serverstandort existiert. Zwei Lager stehen sich hier gegenüber: Die Zentralisten versuchen die Hoheit über die Daten zu monopolisieren und auf diese Weise mehr politische Kontrollgewalt zu erlangen, als es in der Menschheitsgeschichte je zuvor in einer Hand gegeben hat.
Und die Cypherpunks und Krypto-Anarchisten kämpfen dafür, dass die Daten nicht nur einer kleinen Elite gehören, sondern allen, denn: Souverän ist heute nur, wer über seine Daten verfügt.
Das traditionelle Rechts-Links-Schema greift in diesem Kulturkampf nur bedingt: Es sind gerade zentralistische Datengiganten wie Google, die für das offene, kollaborative, hierarchiefreie Netz einstehen.
Informationelle Selbstbestimmung
Und die Grundforderung der Cypherpunk-Bewegung – der Schutz der Privatsphäre – ist eigentlich ein zutiefst bürgerliches Anliegen. So weit würde der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung schließlich auch mitgehen.
Oder die abertausenden Deutschen, die ihr Haus auf Google Street View haben schwärzen lassen. Oder das Bundesverfassungsgericht, das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu einem unveräußerlichen Grundrecht erklärt hat.
Trotzdem assoziieren viele Anonymität im Netz häufig zuallererst mit Kriminalität, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass der erste größere praktische Anwendungsfall des Bitcoin-Experiments der Versandhandel „Silkroad“ gewesen ist.
Bürgerliches Grundrecht
„Silkroad“ war eine Art Amazon für alles Illegale, eine Seite, die nur über den verschlüsselten Tor-Browser erreichbar war, und als Zahlungsmittel ausschließlich Bitcoin akzeptierte. Der Betreiber der Seite sitzt längst im Gefängnis.
Nach dieser Geschichte standen die Verteidiger der Privatsphäre auf einmal als Erfüllungsgehilfen des organisierten Verbrechens da, obwohl sie lediglich ein bürgerliches Grundrecht einforderten.
Dass es zwischen Regierung und Bürgern ein Vertrauensproblem gibt, lässt sich jedenfalls seit einiger Zeit gut im Berliner Nahverkehr beobachten.
Anonym auf der Rolltreppe
Seit August 2017 gibt es am Bahnhof Südkreuz Überwachungskameras mit Gesichtserkennungssoftware, weshalb es dort nun oft aussieht, als wäre Magrittes Gemälde „Le fils de l’homme“ in der Berliner S-Bahn unterwegs: Menschen aller Schichten und Altersklassen halten sich Taschen, Hüte und Hände vors Gesicht, während sie die Rolltreppe zum Edeka in der Bahnhofshalle runterfahren.
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Platzt die Bitcoin-Blase, oder ist es nur ein kurzes Zwischentief?
Auch deshalb ist es nun ein schöner Triumph für die Hacker und Krypto-Anarchisten, dass ihre zivile Widerstandstechnologie die Börsen so in ihren Bann schlägt, selbst dann noch, wenn Bitcoin, wie im Moment, vorübergehend abwertet. Sie haben nicht nur eine neue Technologie entwickelt, mit der man an Staaten und Banken vorbei Geld überweisen kann, sondern auch ein ehernes Gesetz der Internetwirtschaft widerlegt. Bislang galt: Wirtschaftlichen Erfolg gibt es nur, wenn man die Daten seiner Kunden zu Geld macht. Der Erfolg von Bitcoin und Blockchain hat nun gezeigt, dass man auch im digitalen Zeitalter irrsinnig reich werden kann, indem man für die Selbstbestimmung der Nutzer eintritt. Dieser Wandel ist grundlegend und seine Bedeutung kaum zu überschätzen.
Goldene Zeiten für Berlin
Nebenbei wird eine internationale Krypto-Szene mit mehr Geld geflutet, als sie sich jemals hätte erträumen können: Satoshi Nakamoto gilt heute als einer der fünfzig reichsten Menschen der Welt. Ein anonymer Amerikaner, der sich „Pine“ nennt und nach eigenen Angaben Bitcoin im Wert von 250 Millionen Dollar besitzt, hat gerade 86 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt.
Und auch in Berlin, der Heimat des Chaos Computer Clubs, der Hacker-Community „c-base“ und der Bitcoin-Denkstube „Room 77“, ist einiges hängen geblieben. Und auch das sicher eine gute Nachricht: Wenn ziviler Ungehorsam zum Wirtschaftszweig wird, stehen dem Berliner Haushalt goldene Zeiten bevor.
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