Ich würde behaupten die "finanzielle Freiheit" wie sie durch diverser Influencer propagiert wird ist ein Trugbild, welches an eine meist junge und/oder unerfahrene Zielgruppe gerichtet ist um Begehrlichkeiten zu wecken (Reisen, hübsche Frauen, tolle Autos...) und schließlich ein Produkt zu verkaufen.
Jedenfalls habe ich meine finanzielle Freiheit ganz anders wahrgenommen.
Ich war als Kind schon recht sparsam und bin es wohl bis heute. Ich habe eine gute (Aus-)Bildung genossen, sodass meine Einnahmen die Ausgaben immer deutlich überwogen haben. Ich komme dem nahe was man heute einen Frugalisten nennt, auch wenn ich mir das nie aktiv als Ziel gesetzt habe und auch beileibe nicht so streng bin.
Mit genug finanziellem Puffer hab ich auf Teilzeit reduziert, allerdings war das im Angestelltenverhältnis durchaus auch mit Konflikten verbunden. Insofern hab ich mich dann selbstständig gemacht um mein eigener Herr zu sein. Was von der Zeitgestaltung her auch echt gut funktioniert. Man verfolgt Projekte die einem Spaß machen und sucht sich seine Arbeit aus. Und wenn man finanziell kein Druck hat kann man sich auch mal Wochen und Monate mit einem Projekt befassen wo am ende nicht zwingend was raus kommen muss. Auch wenn ich seit 2017/18 bei kryptos dabei bin, so richtig befasst und in den Kaninchenbau hinabgestiegen bin ich erst 2023 wo ich viel zeit hier im Forum verbracht habe. Aus heutiger Sicht war es wohl nicht ganz verkehrt in 2022/23 den Fokus auf Kryptos zu legen, aber damals war ein einfach nur Interesse. Die Freiheit das tun und lassen zu können was man will ist für mich das schönste an finanzieller Unabhängigkeit.
Paar Erfahrungen kann ich noch teilen:
- Reisen sind für mich praktisch irrelevant, der Reiz liegt hier für mich weniger darin neue Leute kennen zu lernen als vielmehr mit Freunden und Familie schöne Erlebnisse zu haben. Da in meinem Umfeld aber alle Arbeiten müssen gibt es da nicht mehr Gelegenheiten zum Reisen als früher (eher weniger wenn zunehmend familiäre Verpflichtungen mit ins Spiel kommen). Wenn du jung und ungebunden bist und deine Partnerin mitzieht, dann mach es solange es noch geht!
- Der Cocktail am Strand ist ein beliebtes Bild für finanzielle Freiheit, entsprach in meiner Realität aber eher dem Bier auf der Couch und der Entscheidung den Tag mal nix zu tun. Anfangs war das echt cool wie im urlaub sinnlos zeit zu verdödeln, aber auch das verliert seinen Reiz. Je mehr zeit ich verschwendete, desto unzufriedener wurde ich über das "sinnlos vergeudete Potential". Wenn ich mal eine Phase intensiv gezockt habe und das Spiel nach 100h-200h durch hatte war ich eher froh es geschafft zu haben und mich wieder "sinnvolleren" Sachen widmen zu können. Das gehört für mich eher zu den negativen Seiten, wie meine Oma sagen würde: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Auch konnte ich das mit meinem Ego schwer akzeptieren wenn andere mit ihrer Karriere an mir vorbei gezogen sind, wohlwissend dass es die Konsequenz meiner Entscheidung ist, da war also schon etwas kognitive Dissonanz vorhanden.
Schließlich bin ich wieder dazu übergegangen mehr zu arbeiten und die Auszeiten auf wenige Wochen bis Monate zu beschränken um das Urlaubsfeeling zu erhalten.
- Übrigens sind bei mir mit dem Kapital auch unerfahrene Investmententscheidungen mit sich anschließenden jahrelangen Rechtsstreitigkeiten gekommen, auch das durchaus eine Schattenseite zu Beginn der Lernkurve.
- Materialistisch veranlagt war ich nie, aber im Grunde haben die letzten knapp 2 Jahre eher bewirkt, dass ich da noch zurückhaltender geworden bin und tendenziell eher aktives understatement betreibe, mich also explizit gegen Statussymbole entscheide um ungewollte Aufmerksamkeit zu vermeiden.
- Auch mein Umfeld weiß nur in Ansätzen bescheid. Meine Eltern sind eher vom Kaliber: Ohne Fleiß kein Preis. Da wären Konflikte mit meiner Lebensweise vorprogrammiert. Und im Freundeskreis lasse ich das eher im vagen um Neid?Kommentaren wie "Kannst uns ja ruhig mal einladen." vorzubeugen. Ich versuche mein "normales" altes Leben weiterzuführen nur eben mit mehr Freizeit, muss aber auch dazusagen, dass ich bei cryptos bislang noch keine lebensverändernden Gewinne hatte, dazu bin ich zu spät eingestiegen. Hab mir alles "erarbeitet".
- Insofern macht das Guthaben auf dem Konto finanzielle Entscheidungen von Immobilienkauf bis Renteneintritt einfacher, aber wirklich substanziell verändert sich das bei mir nicht.
Ich glaube persönlich auch, dass man die wirklich wichtigen Entscheidungen auch ohne dickes Guthaben fällen kann.
Den Job zu kündigen und stattdessen das zu machen wofür man brennt, braucht sicherlich Mut aber es geht auch ohne Kapital.
Mit der besseren Hälfte zu verreisen und die Welt zu entdecken folgt wohl am ehestem dem parkinsonschen Gesetz: Es wird soviel Geld ausgegeben wie zur Verfügung steht. Ob das die Erlebnisse besser und das miteinander glücklicher macht lasse ich mal offen.
Sich für einen festen Wohnsitz zu entscheiden ist sicherlich nicht primär vom Kapital abhängig. Ob das Haus am See oder in der Pampa, glücklich wird man nicht durch das Haus sondern die Menschen die es bewohnen.
Also nimm die gewonnene Sicherheit gerne als Anlass dir die Frage zu stellen was du vom Leben eigentlich erwartest und was deine persönlichen big 5 for life sind. Aber gib dich nicht der Illusion hin, dass solche Entscheidungen eines gewissen Mindestkapitals bedürfen, auf mehr Geld zu warten ist nicht anderes als die Entscheidung zu prokrastinieren und glaub mir damit kenne ich mich aus...
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Auch wenn das jetzt alles bei mir nicht so viel mit BTC zu tun hat bietet es dir ja vielleicht zumindest eine andere Perspektive...