@ Minus Öl Preis:
Wer dachte, es könne am Erdölmarkt nicht mehr verrückter werden, sah sich getäuscht: Am Montag fiel der Preis an der Terminbörse für die amerikanische Erdölsorte WTI unter null. Die negative Notiz bedeutet, dass Produzenten und Händler bereit sind dafür zu zahlen, um den Rohstoff loszuwerden oder um eine Auslieferung des Erdöls zu vermeiden. Der extreme Preiszerfall beruht auf einer technischen Besonderheit: Der Preis, der zitiert wird, betrifft den Mai-Kontrakt, der am Dienstag ausläuft. Mit einem solchen Wertpapier haben die Käufer eine Auslieferung einer bestimmten Menge Öl bis zum Montag erworben.
Die Händler, die jedoch aufgrund der Erdölflut keine Lagermöglichkeiten haben, versuchten hektisch den Rohstoff zu verkaufen. Dabei fiel der Preis ins Bodenlose. Der negative Wert kann als die Lagerkosten gedeutet werden. Der ab Dienstag laufende Juni-Kontrakt ist deshalb als Preissignal relevanter. Dieser ist mit rund 20 $ je Fass deutlich höher, aber auch dieser befindet sich im Sinkflug. Die harsche Preisbewegung zeigt, dass die Erdölmärkte weiterhin in Aufruhr und überversorgt sind. Auch ein Referenzwert für kanadisches Erdöl ist in negatives Territorium eingetaucht. Der globale Schrittmacher, der Preis für die Nordsee-Erdölsorte Brent ist zwar auch am Montag gesunken, mit rund 25 $ je Fass aber nicht in Richtung null marschiert.
Das heimliche Opec-Mitglied
Derzeit ist am Erdölmarkt alles historisch: die Förderkürzungen der Petro-Staaten, der Rückgang der Nachfrage, die Schulterschlüsse zwischen Export- und Importländern. Wer hätte vor wenigen Wochen ernsthaft geglaubt, dass ein amerikanischer Präsident jemals Saudiarabien und Russland androhen würde, Erdölimporte mit hohen Zöllen zu belegen, damit diese zwei Länder auch wirklich weniger fördern? Erdölschocks funktionierten früher einmal so: Eine Gruppe von Erdölexporteuren beschloss eine Drosselung, der Ölpreis schoss in die Höhe, die Industrieländer litten darunter. Oder: Die Nachfrage nach Erdöl fiel wegen einer Krise, der Preis sank, die Erdölexporteure litten. Zu Zeiten von Covid-19 geht die Nachfrage zurück, die Förderländer produzieren mehr, und niemand ist glücklich.
Vor einer Woche legten Saudiarabien und Russland unter grossem Tamtam einen Preiskrieg bei, der den Erdölpreis zusammen mit dem starken Nachfragerückgang wegen der Corona-Krise bereits nach unten gedrückt hatte. Die Saudi fluteten den Markt mit Öl und wollten damit die Russen zum Verhandeln zwingen. Erst unter Druck des US-Präsidenten Donald Trump kamen die beiden Streithähne aufeinander zu.
Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec), dominiert von Saudiarabien, vereinbarte mit einer Gruppe weiterer Petro-Staaten, die von Russland angeführt wird, nach langwierigen Verhandlungen eine Kürzung der Förderung um 9,7 Mio. Fass Erdöl pro Tag im Mai und April. Die Menge entspricht knapp 10% der weltweiten Produktion. Danach soll die Kürzung bis Ende April 2022 auf 5,8 Mio. Fass zurückgefahren werden. Gemeinsam nennen sich die Förderländer Opec+.
Jahrzehntelang war den Vereinigten Staaten das Erdölkartell in Form der Opec ein Dorn im Auge. Seit 2018 sind die USA jedoch der weltgrösste Erdölproduzent, und das Kalkül hat sich verändert. Trump hat sich für das Abkommen dermassen in die Bresche geworfen, weil unter den niedrigen Preisen besonders die amerikanischen Fracking-Unternehmen leiden, die international relativ hohe Produktionskosten haben. Viele Jobs in US-Gliedstaaten wie Texas, North Dakota oder Pennsylvania sind dadurch gefährdet. Die Zahl der Bohrlöcher für Schieferöl nimmt bereits rasant ab. Dies dürfte Trump in einem Wahljahr auf den Plan gerufen haben.
Das Besondere am Deal ist auch, dass sich die USA wenig verschämt neben Saudiarabien und Russland stellen, um den Erdölmarkt zu manipulieren. Diese drei Petro-Mächte versuchen offenbar, das Angebot zu bestimmen. Ohnehin ist es zu einem Schulterschluss zwischen der Opec+ und den G-20-Ländern gekommen, der Vereinigung der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
Auf konkrete Massnahmen konnten sich die G-20-Staaten nicht einigen. Sie verpflichteten sich nur dazu, alle nötigen Massnahmen zu ergreifen, um die Stabilität des Energiemarktes zu sichern. Die Erdölvereinbarung dürfte dennoch die erste wahrlich multilaterale Koordination im Zuge der Corona-Krise gewesen sein – ausgerechnet von Trump vorangetrieben.
Die drei Erdölmächte
Angesichts des wochenlangen Ringens stellt sich die Frage, wer nun als Gewinner aus dem Preiskrieg hervorgegangen ist. Eine weitere Frage ist: Konnten die Petro-Staaten das Ruder am Erdölmarkt herumreissen? Die Antwort auf die erste Frage lautet: niemand. Riad und Moskau haben schliesslich eingelenkt, weil sie mussten. Nicht so sehr, weil sie von Trump gedrängt worden sind, sondern, weil sie der starke Preiszerfall dazu gezwungen hat.
Der amerikanische Präsident hat seinem russischen Pendant und dem saudischen Kronprinzen, dem starken Mann im Land, die Chance gegeben, dabei das Gesicht zu wahren. Beide Länder haben jedoch politisches Porzellan zerschlagen.
Kronprinz Mohammed bin Salman erwies sich als impulsiver und unzuverlässiger Staatslenker, als er den Preiskrieg vom Zaun brach. Saudiarabien hat zwar niedrige Förderkosten, der Staatshaushalt lebt aber von einem hohen Erdölpreis. Amerikanische Kongressabgeordnete drohten dem Alliierten gar, die Militärhilfe zu entziehen, wenn Saudiarabien nicht einlenke. Riad zündelt aber auch nach der Einigung weiter: Die jüngsten offiziellen Verkaufspreise für Asien weisen immer noch einen hohen Abschlag auf.
Der russische Präsident Wladimir Putin vollzog mit der Vereinbarung eine 180-Grad-Wendung. Am Ende schien Moskau jeder Forderung zuzustimmen. Russland fühlte sich durch flexible Wechselkurse, grosse Finanzreserven und niedrige Kosten gut gewappnet für den Preiskrieg. Die Preisentwicklung machte diese Überlegungen aber zunichte. Die russischen Ölfirmen müssen jetzt etwas machen, was ohnehin gekommen wäre: Erdölfelder aussuchen, die geschlossen werden können. Wenn einmal die Produktion gestoppt wird, ist es bei einem traditionellen Feld schwierig und kostspielig, die Förderung wieder aufzunehmen.
Für Trump war es ein diplomatischer Erfolg, die anderen zu Kürzungen zu bewegen, ohne dass die USA Verpflichtungen eingegangen wären. Was das Abkommen aber tatsächlich für alle wert ist, liegt in der Preisreaktion: Der Erdölmarkt zeigte sich gegenüber den Massnahmen skeptisch, und die Erdölnotizen sanken wieder.
Neben dem Nachfragerückgang verblasst alles
Es half auch nicht, dass saudische und amerikanische Stimmen kolportierten, die Kürzungen betrügen statt täglich 9,7 Mio. Fass vielmehr 19,5 Mio. Fass, wenn das Auffüllen strategischer Reserven in G-20-Staaten und die Produktionsdrosselungen privater Firmen hinzugerechnet würden, die ohnehin erfolgen würden. Zudem werden Investitionen gekappt. Dies entspricht mehr kreativer Buchführung als tatsächlichen Drosselungen. Saudiarabien und Russland kündigten bereits weitere Massnahmen an, falls dies nötig sei.
Das Hauptproblem ist, dass die Nachfrage im April um knapp 30 Mio. Fass pro Tag eingebrochen sein dürfte. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet insgesamt mit einem Rückgang von 9,3 Mio. Fass in diesem Jahr. Bereits im Sommer dürften – auch mit den Massnahmen von Opec+ – weltweit so gut wie keine Lagerkapazitäten für Erdöl mehr vorhanden sein, was auf den Preis drückt und Produzenten dazu zwingt, die Förderung einzustellen. Davor fürchtet sich die gesamte Branche. Die IEA schätzt, dass sich in der zweiten Jahreshälfte die Situation entschärfen wird, was jedoch abhängig von der weiteren Tiefe und Länge der Corona-Krise ist.
Ein grosses Experiment
Die derzeitige Lage könnte auch einen Vorgeschmack auf einen permanenten Nachfragerückgang bieten. Mittelfristig dürfte es zwar zu Preissteigerungen kommen, wenn wieder mehr geflogen und gefahren wird. Längerfristig stellt sich aber die Frage, ob die Corona-Krise nicht eine Verhaltensänderung verstärkt, die bereits durch die Klimadebatte angestossen wurde.
Wie in einem grossen Experiment wird derzeit ausgelotet, wie produktiv eine Gesellschaft im Home-Office und mit weniger Verkehr sein kann. Hätte ein solcher gesellschaftlicher Wandel nach der Krise Bestand, würde das den Erdölverbrauch nachhaltig beeinflussen. Und Investoren könnten sich noch mehr der Verletzlichkeit der Branche bewusst werden. Dadurch kämen die Petro-Staaten und die Erdölfirmen noch mehr unter Druck. Dies hätte zur Folge, dass jeder Produzent sein Erdöl noch würde verkaufen wollen, solange es eine Nachfrage gibt. Somit wäre der Markt in der Zukunft tendenziell mit Öl überversorgt.
Quelle:
https://www.nzz.ch/wirtschaft/coronavirus-bei-erdoel-besteht-ein-rueckgang-bei-der-nachfrage-ld.1552179*edit*
und noch ein interessantes YT Video:
https://www.invidio.us/watch?v=wQuXDvA8l24 Nicht zu vergessen, eine Erdöl Förderanlage kann man nicht einfach abschalten, die läuft und läuft und läuft...