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Envion-Gründer werfen dem Geschäftsführer unredliche Absichten vor
Die Gründer des Blockchain-Start-ups Envion sagen, der Geschäftsführer habe versucht, die Anleger um ihr Geld zu prellen. Dieser widerspricht.
Michael Luckow möchte das Blockchain-Start-up Envion vor dem Konkurs bewahren. Foto: Thomas Egli
Bernhard Kislig
Der Fall um Envion mit Sitz in Zug ist ein prominentes Beispiel, das zeigt, was bei Start-ups in der noch jungen Blockchain-Technologie alles schiefgehen kann. Anfang Jahr legte Envion einen Start hin, von dem andere Jungunternehmen nur träumen können: Bis Mitte Januar investierten Anleger innerhalb eines Monats 100 Millionen Dollar, obwohl nicht mehr als eine Geschäftsidee vorhanden war. Bis damals war es weltweit erst fünf Unternehmen gelungen, in einem Initial Coin Offering (ICO) mehr Kapital aufzunehmen.
Envion wollte Container produzieren, die mit leistungsstarken Rechnern ausgerüstet nahe bei Stromkraftwerken platziert werden. Dort sollten sie mit überschüssiger Energie kostengünstig Kryptowährungen wie Bit-coin «schürfen». Doch das Unternehmen ist nie operativ tätig geworden. Weltweit bangen mehr als 30000 Investoren um Ersparnisse, die sie einbezahlt haben.
Blockierte Geschäfte
Was die Idee taugt, konnte Envion nie beweisen, da ein interner Konflikt das Geschäft von Beginn an lahmlegte. Es kam zu Prozessen, einer feindlichen Übernahme, Morddrohungen und Einbrüchen. Auf der einen Seite steht Michael Luckow. Der schlaksige und meist leger gekleidete Zweimetermann vertritt die Gründergruppe, die über das technische Know-how der Umsetzung verfügt. Auf der anderen Seite ist Matthias Woestmann. Der ehemalige ARD-Korrespondent wurde von den Gründern zum Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsidenten ernannt. Er tritt elegant auf, ist rhetorisch versiert und in der Energiebranche bestens vernetzt. Er sollte – so die Idee der Gründer – Envion gegen aussen ein Gesicht geben, während die Gründer das operative Geschäft umsetzen. Dafür erhielt Woestmann viel Einfluss: Um in der turbulenten Startphase unbürokratisch handeln zu können, durfte er den Aktienanteil der Gründer von 81 Prozent an Envion treuhänderisch verwalten.
Der Streit beginnt mit einer Lappalie, wie beide Seiten heute unisono feststellen: Luckow hat bei einer China-Reise mit Herstellern einen zusätzlichen Termin vereinbart, von dem Woestmann nichts wusste. Woestmann reiste mit dem bereits gebuchten Flug allein und verärgert zurück nach Deutschland. Das war Mitte Januar, nur wenige Tage nach dem ICO. Ab diesem Moment ist das Vertrauensverhältnis zwischen Gründern und Geschäftsleitung angeschlagen.
Am 27. Januar folgt ein Paukenschlag: Am Ende einer Sitzung erwähnt Woestmann, dass er die Zahl der Aktien des Unternehmens erhöht hat. Mit diesem Schachzug werden die Aktien der Gründer derart verwässert, dass ihr Anteil von 81 auf 31 Prozent sinkt. Die Mehrheit besitzt neu Thomas van Aubel – ein Wirtschaftsanwalt, der bereits in mehrere feindliche Übernahmen involviert war (Balda, Q-Cells). Van Aubel ist ein langjähriger Freund Woestmanns und wurde von ihm zuvor schon als Rechtsberater zu Envion geholt. Woestmann macht für diesen Schritt hehre Gründe geltend: Er verweist auf Unregelmässigkeiten beim ICO – ihm gehe es um den Schutz der Anleger.
Die Gründer suchen darauf das Gespräch. Gerichtsverfahren wollen sie vermeiden, da diese zu viel Zeit und Geld kosteten. Doch wie Luckow erzählt, war es schwierig, eine Lösung zu finden: «Ich habe um Termine gebettelt.» Und wenn es doch einmal zu einer Aussprache gekommen sei, habe Woestmann zwar Kompromissbereitschaft signalisiert, aber anschliessend den Worten nie Taten folgen lassen.
So kam es, dass die Anleger über Monate im Ungewissen gelassen wurden. Aus Verunsicherung entstanden Frust und Wut. Eine kleinere Gruppe von Investoren begann sich in Internet-Channels intensiv auszutauschen. In Gesprächsprotokollen, die dieser Zeitung vorliegen, wurden auch Morddrohungen ausgesprochen. Verantwortliche erhielten auch per Mail Drohungen, teils mit Bildern von verstümmel
en Menschen. Bei Gründern wurde mehrmals eingebrochen. Bei Luckow nahmen die Diebe nur die Festplatte aus dem Computer und das iPhone mit, während sie Bargeld auf dem Schreibtisch liegen liessen. Mitglieder des Gründerteams wurden bei Arbeitgebern mit Schmutzkampagnen verunglimpft.
Unlautere Pläne?
Luckow hat die Hoffnung aufgegeben, gemeinsam mit Woestmann eine Lösung finden zu können. Deshalb erzählt er erstmals von zweifelhaften Angeboten Woestmanns. Ein Vorschlag sei gewesen, Envion an ein kanadisches Unternehmen zu verkaufen. «Dieses sollte zu überteuerten Preisen die Hardware liefern und Woestmann ein Aktienpaket von zwei Millionen kanadischen Dollar geben.» In einem weiteren Gespräch habe Woestmann angeboten, Envion aufzulösen und den Investoren ihr Geld in Kryptowährungen zurückzuzahlen. Das Problem dabei: Die Kurse von Kryptowährungen sind stark eingebrochen. Envion hat das Kapital der Anleger grösstenteils in relativ stabilen Dollars angelegt. Wird das Geld zum tieferen Kurs in Kryptowährungen an Investoren zurückerstattet, bliebe ein zweistelliger Millionenbetrag zurück. «Woestmann schlug vor, dass wir diesen unter uns aufteilen», sagt Luckow. «Ich habe beide Vorschläge abgelehnt, da sie moralisch verwerflich und wahrscheinlich auch rechtlich problematisch wären.»
Inzwischen hat die Finanzmarktaufsicht die Kontrolle über Envion übernommen undWoestmann die Geschäftsleitung entzogen. Er betont deshalb, dass er nur als Aktionär und «nicht als Organ der Gesellschaft» sprechen könne. Als Aktionär habe er mehrere Angebote anderer Unternehmen erhalten. «Grundsätzlich hätte man mit einem Verkauf die Konfliktstellung in der Envion AG entschärfen können, deshalb habe ich das mit den Gründern auch so diskutiert.» Aber alle Angebote seien so gestrickt gewesen, dass die Investoren indirekt den Übernahmepreis bezahlt hätten. Deshalb habe er alle abgelehnt.
Den zweiten Vorwurf Luckows weist Woestmann entschieden zurück: «Die Vorstellung, dass ein Verwaltungsrat unter den Augen der Schweizer Behörden ein überschuldetes Unternehmen auflöst und einen Grossteil des Kapitals an die Aktionäre verteilt, ist völlig realitätsfern.» Die Verteilung von Geldern an Anleger bei einem ICO sei Neuland, weshalb es da offene Fragen gebe. Darauf habe er Luckow hingewiesen.
Doch keine Liquidation?
Woestmann geht davon aus, dass das Zuger Konkursamt Envion demnächst liquidiert. Der Grund: Die Wirtschaftsprüfer PWC und BDO lehnten es ab, als Revisionsstelle einzuspringen. Diesen Fehler konnte Envion nicht beheben, weil es Konflikte um die Aushändigung von Daten zum ICO gab. Nun liefern die Gründer der Finanzmarktaufsicht alle gewünschten Informationen und hoffen, die drohende Liquidation im letzten Moment noch abwenden zu können.
Gründer erzielen vor Gericht Zwischenerfolg
Die Envion-Gründer schürten unter Anlegern Unsicherheit, weil sie diese nicht informierten. Für die Zurückhaltung gab es zwei Gründe. Erstens hofften sie zuerst auf eine rasche einvernehmliche Lösung und mieden deshalb die öffentliche Auseinandersetzung. Zweitens untersagte es die Gegenpartei per Verfügung,dass sich Gründer im Namen von Envion äussern dürfen. Als Folge drohte dem Gründer Michael Luckow bei jeder Kommunikation mit Anlegern eine Geldstrafe oder Inhaftierung. In einem bisher nicht veröffentlichten Urteil hat das Landgericht Berlin nun beschlossen, diese Verfügung aufzuheben. Das Urteil ist sofort wirksam, kann aber angefochten werden.
Bereits im Juni gab es für die Gründer einen Erfolg: Das Landgericht Berlin verbot Geschäftsführer Matthias Woestmannund Mehrheitsaktionär Thomas van Aubel Anteile von Envion an Dritte zu verkaufen oder massgebliche Geschäfte ohne Zustimmung der Gründer zu tätigen. Die feindliche Übernahme durch van Aubel und Woestmann kritisierte das Gericht ungewöhnlich scharf als «besonders verwerflich» und «sittenwidrig». Dieses Urteil wird angefochten. (ki)