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Die heisse Liebe der Schweizer Blockchain-Branche für Libra droht abzukühlenDer Besuch einer US-Politiker-Delegation in Bern wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Kritik von Notenbanken und Regulatoren am globalen, Blockchain-basierten Zahlungssystem von Facebook. Das Crypto Valley ist nicht erpicht darauf, in den Fokus der USA zu geraten.
Als im Juni das Facebook-Projekt Libra Genf als Sitz auswählte, empfanden das viele als Ritterschlag für die Bemühungen der Schweiz, in der neu entstehenden Blockchain-Industrie eine führende Rolle zu spielen. In Zug, dem hiesigen Crypto Valley, ist der Stolz über die Wahl des Standortes Schweiz leichter Ernüchterung gewichen. Die Kritik von Notenbanken, Politikern und anderen Institutionen – vor allem in den USA – ist heftig. Gegenwärtig trifft sich eine amerikanische Politikerdelegation mit Schweizer Parlamentariern und Aufsichtsbehörden.
Ein Elefant tritt auf
«Dass wir auf den Radar des US-Regulators geraten, ist das Letzte, was wir brauchen können», sagt ein Interessenvertreter aus dem Crypto Valley. Das Projekt des globalen Blockchain-basierten Zahlungssystems drohe von einem globalen Fintech-Vorhaben zu einem Aspekt der US-Aussenpolitik zu werden. Mit Libra ist ein Elefant in die Schweizer Krypto-Branche eingetreten, der viele kleinere Projekte in den Schatten stellt. Auch ohne Libra treiben die Vorstellungen der Bankenaufsicht zu den Eigenmitteln für Krypto-Anbieter Schweizer Vertretern Sorgenfalten auf die Stirn. Diese Anforderungen an das Eigenkapital könnten ein Grund sein, wieso die Startups, die eine «Krypto-Banklizenz» beantragt haben (Seba Bank, Sygnum), diese bis heute noch nicht erhalten haben.
«Die vielen negativen Einschätzungen sind kaum nachzuvollziehen, da viele Punkte noch gar nicht definiert sind», sagt Daniel Diemers, Mitglied des Expertenausschusses der Swiss Blockchain Federation und Leiter Blockchain bei PwC. Das White Paper von Libra sei recht dünn. Es werde noch einige Zeit vergehen, bis man sehe, ob das Projekt zum Fliegen gebracht werden könne. Zudem ist noch nicht klar, was Libra bzw. Facebook in der Schweiz ansiedeln will. Wird es eine reine Governance-Organisation oder ein operativ tätiges Unternehmen, das Tausende von Arbeitsplätzen schafft? Diemers fügt an, dass man nicht nur die negativen Kommentare ins Zentrum rücken dürfe. Die EU hat sich etwa grundsätzlich positiv zu einem globalen Projekt geäussert, ohne auf Facebook einzugehen.
Wichtige öffentliche Debatte
«Ich persönlich bin etwas gespalten – auf der einen Seite ist Libra eine gute Chance für die Schweiz. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch erhebliche Gefahren», sagt Fabian Schär, Leiter der Forschungsstelle Center for Innovative Finance an der Universität Basel. Wichtig sei, dass die öffentliche Debatte nicht abflache und auch nicht davor zurückschrecke, kritische Fragen zu stellen. Man könne in der Schweiz nicht immer fordern, die Fintechs müssten den Durchbruch schaffen, und dabei immer die Vier-Personen-Garagenbetriebe im Auge haben und auf Abwehrhaltung schalten, wenn ein wirkliches Schwergewicht mit viel Potenzial den Markt betrete, fügt Diemers an.
Die Technologie von Libra überzeuge, sagt Alain Kunz, CEO von Tokensuisse. Facebook habe aber wahrscheinlich die Problematik um KYC (Kundenidentifizierung) und Geldwäscherei etwas auf die leichte Schulter genommen. «Es ist nicht ausgeschlossen, dass das ganze Projekt im ersten Anlauf scheitert oder einzig in Schwellenländern lanciert wird.» Der positive Effekt, den die Schweiz als Blockchain-Standort erlangt habe, wirke aber weiter. Etwas Sorgen macht sich Kunz darüber, dass die US-Delegation anlässlich ihres Besuchs auch mit den ICO (initial coin offerings) aus den Jahren 2017 und 2018 konfrontiert werde. Es sei ein offenes Geheimnis, dass es bei einzelnen auch zu Unregelmässigkeiten gekommen sei. «Die US-Politik greift überall dort als Konsumentenschützer ein, wo US-Bürger betroffen sind», so Kunz.
Zurückhaltende Amerikaner
Die Ernüchterung im Crypto Valley, das geografisch die Region um den Zugersee ist, aber eigentlich alle Blockchain-Projekte in der Schweiz umfasst, hat auch mit der Reserviertheit von Libra zu tun. Die Amerikaner machten bisher keine Anstalten, sich im Schweizer Ökosystem zu vernetzen. «Es gab verschiedenste Versuche der Kontaktaufnahme – auch seitens der Swiss Blockchain Federation, aber ohne Erfolg», sagt Schär. Auch innerhalb des Libra-Konsortiums, in dem die Facebook-Tochter Calibra nur eines von 28 Mitgliedern ist, scheint die Zusammenarbeit noch nicht allzu stark zu sein.
Ein Insider meint, die Mitglieder dieser Libra Association würden von Facebook nur spärlich informiert und wüssten nicht, was in der Eingabe an die Schweizer Finanzmarktaufsicht stehe. Das Konsortium hat sich demokratisch organisiert, interessant ist aber, wer in den einzelnen Unternehmen die Fäden in der Hand hält. Als «Mastermind» hinter dem Projekt wird immer wieder der Risikokapitalgeber Peter Thiel genannt. Thiel gründete gemeinsam mit Elon Musk und Max Levchin den Online-Bezahldienst Paypal und war der erste externe Geldgeber von Facebook.
Trotz Sitz in der Schweiz bleibt Libra vorerst sehr amerikanisch. Neben Facebook wird das Konsortium von weiteren US-Gesellschaften oder amerikanisch geprägten Gesellschaften wie Spotify gebildet. Wenn das Projekt einmal konkreter wird, könnte man die Rolle der Schweiz besser abschätzen. Die Schweiz und insbesondere Banken und Versicherungen müssen sich gemäss Diemers so oder so überlegen, welche Rolle sie in einem globalen Blockchain-Bezahl-Ökosystem spielen wollen. Egal ob sich Facebook mit Libra durchsetzt oder nicht, eine geeignetere Technologie als Blockchain gibt es dafür nicht.
Ein globaler Anbieter müsste aber die entsprechenden Lizenzen in jedem Land, in dem er tätig ist, jeweils erwerben. An diesem Problem sind schon mehrere Fintechs gescheitert, die schnell weltweit expandieren wollten. Erste Startups in der Schweiz hätten ihre Strategie gemäss Beobachtern bereits geändert und sich auf Libra ausgerichtet. Sie hofften auf einen grösseren Markt als mit Franken oder Euro und versprechen sich eine raschere Skalierung."
Quelle:
https://www.nzz.ch/finanzen/facebook-projekt-libra-liebe-der-schweizer-kuehlt-ab-ld.1503964