Aus der heutigen NZZ:
"
Facebooks Kryptowährung Libra rückt die Schweiz ins Visier der USADas von Facebook lancierte Projekt einer Kryptowährung könnte weltweit das Bezahlen revolutionieren. Doch in den USA stösst es auf Widerstand in der Politik. Da Facebook die Schweiz zum Zentrum seines Vorhabens gemacht hat, reisen nun erstmals US-Politiker nach Bern, um sich zu informieren – und Druck auszuüben.
Seitdem Facebook Mitte Juni sein ambitioniertes Projekt zur Schaffung einer «Weltwährung» und eines Blockchain-basierten Zahlungssystems namens Libra lanciert hat, ist auch die Schweiz Teil des weltweit vielbeachteten Vorhabens geworden. Der amerikanische Internetriese und 27 weitere Konzerne haben sich nämlich Genf als Standort des gleichnamigen Vereins ausgesucht, der Libra lancieren soll. Dies wohl auch wegen der engen Beziehungen, die Facebooks oberster Kryptowährungs-Mann, David Marcus, zu der Stadt hat, und wegen der politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz sowie der Positionierung über das Zuger «Crypto Valley» als innovative Plattform für digitale Währungen.
Als Marcus Mitte Juli bei einer Anhörung im US-Kongress erklärte, dass der Libra-Verein von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) überwacht werden würde, wurde die Schweiz einmal mehr als wichtiger Akteur hervorgehoben. Man habe bereits erste Gespräche mit der Finma geführt und gehe davon aus, dass man mit der Behörde an «einem angemessenen regulatorischen Rahmen für den Libra-Verein» arbeiten werde.
Günstige Zahlungsmöglichkeiten für alle
Mit der auf der Blockchain-Technologie basierenden neuen Kryptowährung will Facebook Kunden den Geldtransfer und das Bezahlen über Grenzen und verschiedene Währungsräume hinweg erleichtern und verbilligen. «Wir haben viel dafür getan, freie und unlimitierte Kommunikation Milliarden von Menschen zugänglich zu machen. Jetzt wollen wir das Gleiche für digitale Geld- und Finanzdienstleistungen tun», schreibt Marcus in einem Anfang Juli veröffentlichten Update der Libra-Pläne von Facebook. Die Währung soll mit relativ liquiden und sicheren Finanzanlagen hinterlegt werden, die in den wichtigsten stabilen Währungen denominiert sind. Verwaltet und gelenkt werden soll das Währungsprojekt von dem in Genf ansässigen Libra-Verein, bei dem unter anderen auch der Kreditkartenkonzern Visa, der Online-Händler Ebay, die Transportfirma Uber oder der Musikdienst Spotify Gründungsmitglieder sind. Facebook ist über das für diesen Zweck gegründete und von David Marcus geführte Tochterunternehmen Calibra an dem Verein beteiligt.
In der amerikanischen Politik hatte die Ankündigung des Libra-Projektes nämlich sofort die Alarmglocken schrillen lassen. «Angesichts der problembeladenen Vergangenheit des Unternehmens verlange ich, dass Facebook in ein Moratorium bei der Entwicklung der Kryptowährung einwilligt, bis der Kongress und die Regulatoren die Sachverhalte untersucht und Massnahmen eingeleitet haben», hatte Waters umgehend gefordert. Die kämpferische Kalifornierin leitet im Repräsentantenhaus den einflussreichen Ausschuss für Finanzdienstleistungen (The United States House of Representatives Committee on Financial Services). Waters ist ein politisches Urgestein und prägt seit den siebziger Jahren die amerikanische Politik, zunächst als Abgeordnete in Kalifornien und seit den neunziger Jahren als Mitglied des US-Repräsentantenhauses.
Als Vorsitzende des Finanzausschusses des Repräsentantenhauses hat Waters sich bisher vor allem für die Belange der Konsumenten eingesetzt und etwa die Machenschaften von Wells Fargo unter die Lupe genommen. Seit Facebook aber das Libra-Projekt lanciert hat, fokussiert sich der Ausschuss auf die neue Kryptowährung. Mitte Juli hielt er die erste Anhörung zu dem Thema ab und lud neben zahlreichen Experten auch Facebooks Calibra-Chef Marcus vor. Einen Tag zuvor hatte der Bankenausschuss des Senats (United States Senate Committee on Banking, Housing and Urban Affairs) bereits eine entsprechende Anhörung zu dem Thema unter Teilnahme von Marcus abgehalten.
Waters’ Frontalangriff auf Libra
Maxine Waters hat mittlerweile zum Frontalangriff auf Libra geblasen. Unter ihrer Führung hat der Ausschuss einen Gesetzesentwurf erarbeitet, der grossen Plattformkonzernen wie Facebook das Betreiben einer Kryptowährung oder eine entsprechende Zusammenarbeit mit einem Finanzunternehmen schlichtweg verbieten würde. Ob sich dieser «Keep Big Tech out of Finance Act» genannte Gesetzesentwurf jemals erfolgreich durch den Kongress boxen lassen würde, ist allerdings fraglich. Es ist anzunehmen, dass sich der in republikanischer Hand befindliche Senat gegen ein solch drastisches Verbot stemmen würde, liefe es doch einer generell wirtschafts- und innovationsfreundlichen Ausrichtung der Konservativen zuwider.
Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, dass die amerikanische Politik nun über den Atlantik in Richtung Schweiz blickt. Zum Wochenende hin erwartet Bern den Besuch einer Delegation von sechs amerikanischen Parlamentariern. Die mit einer Ausnahme der Demokratischen Partei angehörenden Mitglieder des einflussreichen Parlamentsausschusses für Finanzdienstleistungen werden unter Führung der Demokratin Maxine Waters mit einer von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder angeführten Gruppe Schweizer Parlamentarier zusammentreffen und sich mit Vertretern der schweizerischen Regulierungsbehörden, dem Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Adrian Lobsiger und Vertretern von Libra treffen. Die aus Washington angereiste Delegation will sich ein Bild von den Vorstellungen der Schweiz zur Handhabung von Libra machen und klarstellen, dass sie mit einer allzu freizügigen Regulierung nicht einverstanden wäre.
Allerdings haben sowohl die Demokraten als auch die Republikaner grosses Interesse, Facebooks Einfluss einzudämmen. Die Demokraten sind nach wie vor traumatisiert von dem für sie überraschenden Wahlsieg Trumps im Jahr 2016, den sie auch auf den Einsatz von sozialen Netzwerken wie Facebook und deren Missbrauch durch politische Akteure wie jene in Russland zurückführen. Angesichts des Wahlkampfes für die Präsidentenwahlen im kommenden Jahr bekommt die Thematik der Regulierung der grossen Tech-Konzerne wie Apple, Alphabet, Amazon und eben auch Facebook ein noch grösseres Gewicht. Die sich als Kandidatin der Demokraten in Position bringende Senatorin Elizabeth Warren hat im Zuge eines Linksrutschs ihrer Partei längst Amerikas Grosskonzerne und vor allem die Tech-Riesen als Zielscheibe ausgemacht, in dem Wissen, dass sich damit entsprechendes politisches Kapital vor allem bei vielen jungen, zunehmend kapitalismuskritischen Wählern aufbauen lässt. Aber auch die Republikaner empören sich zunehmend über Facebook und werfen dem Konzern vor, gegen auf der Plattform veröffentlichte konservative Inhalte vorzugehen.
Die Regulatoren in den USA stehen dem Libra-Projekt ebenfalls äusserst kritisch gegenüber. Der Zentralbankchef Jerome Powell etwa forderte anlässlich der letzten, halbjährlich stattfindenden Anhörung vor dem US-Repräsentantenhaus einen vorläufigen Stopp des Libra-Projektes. Erst wenn die ernsthaften Bedenken in Bezug auf den Konsumentenschutz, den Schutz der Privatsphäre und der Stabilität des Finanzsystems ausgeräumt worden seien, sei überhaupt an eine Weiterentwicklung des Projektes zu denken. Der beim Finanzministerium angehängte Financial Stability Oversight Council, der als Dachorganisation für die verschiedenen amerikanischen Finanzmarktregulatoren dient und die Stabilität des Finanzsystems überwachen soll, hat eine Arbeitsgruppe zu Libra gebildet.
Libra als Chance und Risiko für die Schweiz
Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wie sich eine allfällige Libra-Regulierung auf das Verhältnis zwischen den USA und der Schweiz auswirken wird. Während die Standortwahl des Libra-Vereins eine Chance für die Schweiz ist, sich als innovativer und technologieaffiner Standort zu profilieren, birgt sie auch eine Reihe von Risiken in sich; nicht zuletzt wurden Kryptowährungen immer wieder für die Bezahlung illegaler Transaktionen und anderer krimineller Machenschaften genutzt.
Und das könnte einen wunden Punkt treffen. Das Verhältnis zwischen den USA und der Schweiz war lange durch den Steuerstreit belastet worden. Die Amerikaner gingen rabiat vor, sprachen hohe Bussen aus und zwangen die Schweizer Banken in umfangreiche Auskunftspflichten. Dieses Kapitel ist allerdings so gut wie abgeschlossen, und die beiden Länder habe in letzter Zeit ihre Beziehungen wieder vertieft. So war Bundespräsident Ueli Maurer im Mai auf Einladung von Präsident Trump nach Washington gereist; es war das erste Mal überhaupt, dass ein Schweizer Bundespräsident in dieser Funktion ins Weisse Haus eingeladen war. Seitdem ist ein allfälliges Freihandelsabkommen, das während des Besuchs thematisiert worden war, wieder in den Rahmen des Möglichen gerückt."
Quelle:
https://www.nzz.ch/wirtschaft/facebooks-kryptowaehrung-rueckt-die-schweiz-ins-visier-der-usa-ld.1503478 "
Offenere Haltung gegenüber Libra in der SchweizZuerst kam die Idee aus den USA, jetzt kommt von dort politischer Widerstand. Die Schweizer Behörden werden den US-Parlamentariern klarzumachen versuchen, dass sie das «Weltwährungsprojekt» Libra durchaus solide regulieren könnten – wenn es alle die dazu notwendigen Bedingungen erfüllt.
Mit dem Handy direkt und unverzüglich praktisch kostenlos Guthaben in einer eigenen Krypto-«Weltwährung» weltweit transferieren und damit online bezahlen, das ist es, was Facebook mit seinem Blockchain-basierten Libra-Projekt möglich machen möchte. Mit 28 grossen Konzernen als Gründungsmitgliedern hat das Vorhaben von Beginn weg eine Dimension, die es zu einer global wichtigen Institution und ernsthaften Konkurrenz bestehender Zahlungssysteme und ähnlicher, chinesischer Vorhaben machen könnte. Kein Wunder, hat das Projekt seit seiner Ankündigung die von Zentralbanken und Finanzinstituten dominierten internationalen Organisationen wie die Bank der Zentralbanken (BIZ) und den Financial Stability Board (FSB) alarmiert. Dort sucht man derzeit nach Antworten auf eine Reihe von Fragen: Würde der Währungsaspekt von Libra den führenden Zentralbanken und ihren Leitwährungen Konkurrenz machen? Wie sicher wären die Libra-Guthaben und wie anfällig für Geldwäscherei? Könnte das neue Zahlungssystem das bestehende Finanzsystem destabilisieren?
Innovation nicht abwürgen
Bedenken gibt es in den mit diesen Fragen beschäftigten Schweizer Stellen zwar durchaus auch, doch allgemein herrscht im Finanzdepartement, beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF), in der Nationalbank (SNB) und bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) eine positivere Grundeinstellung vor. Man will Innovation im Finanzsektor nicht von Beginn weg regulatorisch abwürgen, sondern eher ermuntern.
Die Schweiz hatte sich bereits vor einiger Zeit gegen ein eigentliches Krypto-Gesetz ausgesprochen und früh damit begonnen, ihre Finanzmarktregulierung so anzupassen, dass auch Fintech-Vorhaben wie Libra damit erfasst werden können. Zu weiteren Anpassungen läuft derzeit eine Vernehmlassung. Die SNB hat sich bereit erklärt, Fintech-Firmen unter gewissen Bedingungen direkten Zugang zu ihren Girokonten zu gewähren. Und andere Zahlungsmittel als der Franken dürfen in der Schweiz seit je ohne besondere Bewilligung verwendet werden (Euro, Reka-Checks). Dem Franken tat das bisher keinen Abbruch.
Lizenzen und Vorschriften
Noch ist unklar, in welchem Ausmass und welchen Bereichen es überhaupt zusätzliche Regulierung braucht. Libra-Vertreter haben den Kontakt zu den Regulierungsbehörden zwar gesucht, sind aber in vielem bisher unverbindlich geblieben. Nimmt Libra in der Schweiz selber Kundengelder entgegen und verwaltet diese, brauchte sie eine Banklizenz. Betreibt die Organisation aus der Schweiz heraus ein Zahlungssystem, wäre dazu wohl eine Infrastrukturbewilligung der Finma notwendig. Will sie direkten Zugang zu den Girokonten der SNB, müsste ihr die Nationalbank diesen gewähren. Und natürlich müsste Libra auch die schweizerischen Geldwäschereivorschriften und Meldepflichten einhalten und den Datenschutzvorschriften genügen.
Es brauchte zudem Sicherheiten, welche ein Verein nicht beibringen kann; Libra müsste sich mindestens als GmbH oder Aktiengesellschaft strukturieren. Zudem wird die Nationalbank interessieren, wie das Projekt die Währungsreserven und Finanzanlagen strukturieren will, die es als Deckung für die neue «Weltwährung» vorsieht. Käme dem Franken dabei eine zentrale Stellung zu (was dem Vernehmen nach bis jetzt nicht der Fall sein soll), könnte dies den Druck auf diesen weiter stärken.
Bundesrat sieht positives Zeichen
Rechtzeitig zum Besuch der US-Delegation hat der Bundesrat am Mittwoch eine Antwort auf eine Interpellation veröffentlicht, in der er zu Libra Stellung nimmt. Er schreibt darin, die Schweiz verfüge bereits über einen soliden regulatorischen Rahmen und der Bundesrat sehe wegen des Libra-Projekts derzeit keinen Revisionsbedarf. Die Sitzwahl der Libra-Verwaltungsorganisation in Genf bezeichnet der Bundesrat explizit als ein positives Zeichen für den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Schweiz, das das Image der Schweiz als innovativer und offener Standort stärken dürfte. Wie jedes grosse Projekt sei aber auch Libra mit Herausforderungen verbunden, denen sich der Bundesrat und die zuständigen Aufsichtsbehörden stellen wollten. Mit dem rigorosen (protektionistisch-innovationsfeindlichen) Gesetzesvorhaben «Keep Big Tech out of Finance Act», das die US-Delegation im Gepäck hat, die zum Wochenende die Schweiz besucht, dürften die Schweizer Gesprächspartner dabei allerdings wenig anfangen können."
Quelle:
https://www.nzz.ch/wirtschaft/offenere-haltung-gegenueber-libra-in-der-schweiz-ld.1503618