Eine Rückkehr zur Marketcap.
TL;DR: Ich habe mich geirrt. Die Marketcap kann bei den großen Coins die relative Bedeutung einschätzen helfen.
Man muss dennoch davor warnen, sie überzubewerten.
Ob sie auch bei kleineren Coins "funktioniert", kann ich nicht abschätzen, ich vermute aber weiterhin, dass die Antwort hier eher "Nein" lauten müsste.
Ich habe an anderer Stelle schon deutlich gemacht, wieso ich die sog. Marketcap nicht als sinnvollen Indikator für Coins akzeptiere.
Im Laufe der Zeit habe ich viel Feedback gerade zu diesem Punkt erhalten, und erkannt, dass es mir wohl nicht ganz gelungen ist, klarzustellen, wieso ich diese Sichtweise vertrete.
Wahrscheinlich ist es nicht ganz einfach, zu akzeptieren, wenn ein so gängiges Konzept wie die Marketcap angegriffen wird und die Leser sind gerne geneigt, auch berechtigte Kritik als unangemessen oder ungenügend abzutun. Meine radikalen Beispiele wie die "QWK-Coin" haben mit ihrer reductio ad absurdum vielleicht dazu beigetragen, es den Apologeten der Marketcap leicht zu machen, fundierte Kritik als bloßen Taschenspielertrick darzustellen.
In diesem Sinne will ich hier einmal ein wenig weiter ausschweifen, und zunächst allgemeinere Bedingungen für brauchbare Indikatoren herausarbeiten.
Indikatoren müssen objektive oder zumindest intersubjektive Wahrheiten abbilden.
Intersubjektiv heißt, vereinfacht gesagt:
Wenn ich heute 100 zufällig ausgewählte Personen nach ihrer Meinung befrage, welche Coins in ihren Augen besonders "bedeutend" sind, und sie darum bitte, diese in eine gewisse Rangfolge zu bringen, sollte das Ergebnis dieser Umfrage nicht wesentlich abweichen von dem Ergebnis, welches ich auf der Basis eines Indikators erhalte. Wenn überhaupt, sollte jede Abweichung rational erklärbar und ggf. in anderen Umfragen reproduzierbar sein.
Machen wir also ruhig das Gedankenexperiment, und fragen uns, in welche Reihenfolge Otto Normalverbraucher wohl Kryptocoins bringen würde.
Ich beginne mal mit einer Auflistung nach
coinmarketcap.com vom 18.08.2018:
Bitcoin
Ethereum
Ripple
BCash
EOS
Stellar
Litecoin
Tether
Cardano
Monero
TRON
Ethereum Classic
IOTA
Dash
NEO
NEM
Binance Coin
Tezos
VeChain
Zcash
Meine "Intuition" sagt mir, dass zumindest Bitcoin an erster Stelle und Ethereum an zweiter "richtig" platziert sind.
Egal, unter welchem Gesichtspunkt man das beleuchten will - Anzahl der Unternehmen, die sich damit befassen - Allgemeine Bekanntheit - Kapital, welches in Start-Ups investiert wird - Akzeptanz bei Händlern - Börsen, auf denen damit gehandelt wird - Ersparnisse, die hineingesteckt werden - etc. pp. - man wird wohl nicht umhin kommen, Bitcoin und Ethereum auf die ersten zwei Ränge zu heben.
Wie man nun
Ethereum und Bitcoin zueinander gewichten soll, ist äußerst schwierig zu beantworten. Zunächst einmal kann man davon ausgehen, dass Ethereum mehr "Dynamik" mitbringt, das scheint offensichtlich. Dennoch darf man auch mit Fug und Recht davon ausgehen, dass niemand, der von Ethereum gehört hat, nicht ebenfalls von Bitcoin weiß, umgekehrt aber ist das alles andere als selbstverständlich. Was also die Bekanntheit angeht, ist Bitcoin sicherlich der "Superstar", wo es bei Ethereum gerade mal zum B-Promi reicht.
Was die "Sparquote" angeht, dürfte Bitcoin deutlich die Nase vorn haben.
Umgekehrt scheinen Ethereum und Altcoins allgemein mehr "Zocker" anzuziehen, was hier keineswegs negativ gemeint ist.
Das Ökosystem um Bitcoin erscheint auf den ersten Blick "größer", das Wachstum desselben aber scheint für den Moment für Ethereum zu sprechen.
Bitcoin ist das konservative Produkt einer um Konsens bemühten Riege alter Herren, Ethereum hingegen aggressives Produkt einer zentral geführten One-Man-Show des Vitalik Buterin, der das Zeug zu haben scheint, zum "Mark Zuckerberg" der Kryptowelt aufzusteigen (mit allen Vor- und Nachteilen, die das so mit sich bringt).
Ich tendiere dazu, Bitcoin noch immer deutlich mehr Bedeutung beizumessen als Ethereum. Insbesondere halte ich die enorme Bekanntheit für ausschlaggebend, weshalb ich Ethereum hier zwingend auf den zweiten Platz verweisen muss. Was nicht heißen soll, dass Ethereum nicht potentiell die Möglichkeit hat, Bitcoin den Rang abzulaufen (eine kleine Anmerkung hierzu: das bezieht sich auf das "Produkt" der "Firma" Ethereum. Als Kryptowährung sehe ich Ethereum als vollständig gescheitert an, aber das soll hier nicht das Thema sein).
Zum ersten Mal stutzen muss ich jedoch schon bei
Ripple. Ripple? Wer hat je davon gehört, wieviele (unabhängige) Unternehmen entwickeln denn tatsächlich Lösungen dafür / damit? Wer akzeptiert das als Zahlung, wer steckt seine Ersparnisse da hinein?
Ganz nebenbei bemerkt ist Ripple natürlich keine Kryptowährung im eigentlichen Sinne, sondern Zentralbankgeld, das sich den Namen lediglich borgt.
Rein subjektiv würde ich im Vergleich zu Bitcoin und Ethereum Ripple als beinahe vollständig unbedeutend bezeichnen. Zwar kann ich nur vermuten, ob das bei "100 Leuten auf der Straße" auch so wäre, aber zumindest liegt es nahe.
BCash ist der nächste Kandidat. Wer, außer hartgesottensten "Krypto-Fans" hat je davon gehört?
Klar, frage ich den "Mann auf der Straße", mag es ihm bekannt vorkommen, aber doch ausschließlich, weil er es mit Bitcoin selbst verwechselt. Bedeutung, im Sinne von einem eigenständigen Ökosystem mit gewachsener oder zumindest im Entstehen befindlicher Infrastruktur und darauf aufbauender Unternehmungen, hat BCash mit Sicherheit faktisch nicht.
EOS und Stellar sind zarte Pflänzchen, die am Wegesrand der breiten Bitcoin- oder Ethereum-Autobahn sprießen und darauf warten, deren Fundamente möglicherweise nach dem nächsten Regen zu sprengen, Bedeutung in einem wirtschaftlich relevanten Sinne kann man ihnen zumindest momentan nicht ernsthaft zusprechen. Wo sind die Firmen, wo ist das Wagniskapital, wo sind die Lebensersparnisse, die darin stecken?
Litecoin ist der erste Kandidat, der sich zumindest an sinnvoller Platzierung einreiht, als bloßes Alternativ-Projekt zu Bitcoin ein deutliches Leichtgewicht, die Bedeutung, und folgerichtig auch die Marketcap betreffend. Die lange, ununterbrochene Historie als Komplementär zu Bitcoin hat Litecoin sicher eine gewisse eigenständige Daseinsberechtigung gesichert, auch wenn diese vielleicht nicht von Dauer ist.
Tether muss ich in dieser Betrachtung außen vorlassen. Zum einen handelt es sich, wie bei Ripple, nicht um eine Kryptowährung, zum anderen sind Aussagen über die Bedeutung von Tether nachrangig. Tether hat Bedeutung, solange es von Börsen als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Endet die Akzeptanz an Börsen, endet Tether.
Cardano kenne nicht einmal
ich (schon gehört, aber mehr auch nicht). Mal ganz ehrlich, muss ich dazu mehr sagen?
Monero als Community-getriebenes Projekt verdient sicher mehr Beachtung. Ob das aber für wirtschaftliche Bedeutung reicht?
TRON - nie davon gehört.
Ethereum Classic, noch ein Community-Projekt. Seien wir mal realistisch: nur, weil sich ein paar Idealisten entscheiden, einen Hardfork bei Ethereum nicht mitzumachen, soll das bedeutend sein? Welche Firmen platzieren dort ihre ICOs? Wer steckt Wagniskapital in solche Unternehmungen? Wer baut Infrastruktur auf so einer Basis auf?
IOTA ist erneut ein Kandidat aus der Reihe der Nicht-Kryptowährungen, soll aber hier zumindest "ehrenhalber" Erwähnung finden. IOTA scheint zumindest mir ein gerüttelt Maß an Aufmerksamkeit in der Wirtschaft erregt zu haben, wobei ich nicht ausschließen mag, dass es sich hier um ein bloßes Laubfeuer gehandelt haben könnte. Noch sehe ich nicht den großen "Impact" von IOTA, noch fehlen die echten Anwendungen in der realen Welt, noch sehe ich nicht reihenweise Unternehmen ihre Infrastruktur auf dieser Coin aufbauen. Potential mag man erkennen, echte Bedeutung jedenfalls fehlt.
Dash, NEO, NEM, Binance Coin, Tezos, VeChain, Zcash. Ab hier geht die Liste endlos weiter mit Projekten, die selbst hartgesottenen "Experten" kaum ein Begriff sind. Sie unterscheiden sich in ihren Merkmalen meist nur marginal von den "großen" Coins, bringen aber wohl kaum einen Unternehmer dazu, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, ob er auf sie setzen soll, oder sich nicht bei einer "Mainstream-Coin" besser aufgehoben fühlt.
Wenn Bitcoin ein Google und Ethereum Facebook wären, handelte es sich bei solchen Coins um alternative Suchmaschinen und Social Networks."Bedeutungslos" wäre noch ein Euphemismus.
Insgesamt kann ich also zunächst für mich selbst eine rein subjektive Liste der Coins, sortiert und gewichtet nach ihrer jeweiligen, von mir so empfundenen Bedeutung anfertigen (diese ist zwangsläufig sehr ungenau. Wer kann schon sagen, ob Bitcoin nun doppelt so bedeutend ist wie
Ethereum oder doch drei- oder gar viermal?):
Reihenfolge und relatives Gewicht:100 Bitcoin
40 Ethereum (Igendwo zwischen halb und ein Drittel)
5 Litecoin (als "Reservewährung" und weil es sich "etabliert" hat)
4 IOTA (weil es augenscheinlich innovatives Potential weckt)
2 Monero (weil es von einer echten Community getragen scheint)
Ein wenig Außen vor, aus genannten Gründen, aber ebenfalls momentan nicht unbedeutend:
15 Tether (weil es als Zahlungsmittel an Börsen erhebliche Bedeutung hat. Verliert es diesen Status als Zahlungsmittel, ist es schlagartig bedeutungslos)
4 Ripple (weil die Firma selbst als Teil des alten Finanzsystems als "klassisches" FinTech Bedeutung hat. Im Bereich "Krypto" ist ihre Bedeutung eigentlich 0)
3 BCash (weil Geld dahintersteckt, das BCash künstliche Bedeutung verleiht. Ist dieses Geld aufgezehrt, geht die Bedeutung wohl gegen 0)
Der Rest erreicht in meinen Augen nicht einmal die Bedeutung "1", d.h. sie sind nicht einmal 1% so bedeutend wie Bitcoin:
EOS, Stellar, Cardano, TRON, Dash, NEO, NEM, Binance Coin, Tezos, VeChain, Zcash
Was hat das nun mit "Intersubjektivität" zu tun?
Nun, damit daraus intersubjektive Wahrheit werden kann, müssten zahlreiche Personen ihre jeweils eigene Einschätzung abgeben. Eine Liste von Coins, sortiert nach der Bedeutung in ihren Augen. Diese Listen müsste man nun zusammenführen in einer neuen, gewichteten Liste, deren Ergebnis ich natürlich nicht vorhersehen kann.
Für den Moment gehe ich davon aus, dass meine eigene Liste so gut ist wie jede andere. Eine Umfrage über solche Listen wäre im Übrigen nicht zielführend, diese würde nur die bezahlten Shills hervorholen, die ihren jeweiligen Shitcoin pushen möchten.
Falls ihr aber eure eigenen Listen beitragen möchtet, lade ich euch herzlich dazu ein.
Bitte, nehmt euch dabei aber zu Herzen, dass ihr nicht der Versuchung erliegen dürft, eure "Lieblingscoin" zu pushen. Fragt euch einfach, wie bedeutsam jede Coin in der "großen weiten Welt" da draußen wirklich ist. Wieviele Leute kennen sie, wieviele Unternehmen arbeiten damit, wieviel Geld steckt drin. Beachtet auch, dass es die Ergebnisse verzerren würde, wenn ihr Unternehmen zu "eurer" Coin zählt, die nicht primär auf dieser
aufbauen. Nur, weil so gut wie jede "Bitcoin-Firma" genausogut auch BCash verwenden könnte, heißt das nicht, dass man diese Firmen als "BCash-Firmen" zählen dürfte.
Kommen wir also zurück zum eigentlichen Gedankenexperiment und seiner Auswirkung:
Wenn wir eine solche intersubjektive Liste haben, sollte diese im Idealfall mit einem objektiven Indikator ein erhebliches Maß an Übereinstimmung zeigen. Abweichungen müssten "erklärbar" sein, z.B. weil ein bestimmter Faktor eine spezifische Coin in der Wahrnehmung der Befragten verzerrt
(z.B. wäre eine Coin, die an weniger Börsen gelistet ist, wohl zwangsläufig unterbewertet, eine Coin, für die TV-Werbung ausgestrahlt wird, wäre überbewertet).
Wenn ich also meine eigene, subjektive Liste zum Ausgangspunkt nehme, muss ich feststellen, dass zwischen der Rangliste der Marketcap und meiner eigenen Liste zumindest eine mehr oder minder deutlich erkennbare Korrelation in Bezug auf die relative Position innerhalb der Liste erkennbar ist:
Meine Liste:100 Bitcoin
40 Ethereum
15 (Tether)
5 Litecoin
4 (Ripple)
4 IOTA
3 (BCash)
2 Monero
Marketcap in Milliarden:
109,6 Bitcoin
29,1 Ethereum
12,4 Ripple
9,3 BCash
3,2 Litecoin
2,7 Tether
1,5 Monero
1,3 IOTA
Was die Gewichtung anhand der Marketcap angeht, gibt es aber zwei Auffälligkeiten.
Ripple und BCash scheinen deutlich überbewertet.
Insofern stellt sich die Frage, ob sich diese Abweichung erklären lässt.
Und tatsächlich, Ripple ist ohnehin ein Außenseiter, für den die Gesetzmäßigkeiten des Kryptomarkts nur begrenzt Anwendung finden können. BCash wiederum ist "jung" und wird von seinen "Schöpfern" bewusst und aggressiv (mit teils unlauteren Methoden) vermarktet.
Nicht beachtet haben wir bisher all die Coins, die in meiner Liste überhaupt nicht auftauchen, die aber laut Marketcap auftauchen sollten. Da keine einzige von ihnen ein Marketcap oberhalb von 5 Milliarden aufweist, kann man sie in Anbetracht der Ungenauigkeit meiner subjektiven Liste getrost als "Rundungsfehler" betrachten.
In diesem Sinne muss ich zu dem Schluss kommen, dass ich mich in Bezug auf die Marketcap letztlich vielleicht geirrt habe. Nach dieser Auswertung scheint die Marketcap, wie sie von coinmarketcap.com ermittelt wird, zumindest im Bereich der "TOP 10" eine näherungsweise Abbildung der relativen Bedeutung von Coins darzustellen.
Sie mag naturgemäß nicht geeignet sein, die absolute Bedeutung zu ermitteln und sie mag eine erhebliche Fehlerquote aufweisen. Bei kleinen "Shitcoins" messe ich ihr weiterhin keine Bedeutung zu, obwohl sie möglicherweise auch da die relative Bedeutung abbilden mag (dies kann ich nicht ermitteln, da mir, ehrlich gesagt, kaum 20% aller Coins unter den TOP100 überhaupt bekannt sind).
Ganz unnütz jedenfalls ist die Marketcap nicht.Ich gebe der Marketcap, wie sie von coinmarketcap.com ermittelt wird, also mit gewissen Einschränkungen mein Placet.
Sie scheint geeignet, näherungsweise zu bestimmen:
Die
relative Bedeutung von Coins zueinander
Die
relative Gewichtung von Coins zueinander
Einschränkungen:
Sie ist manipulierbar (Ripple und BCash bestätigen das)
Sie ist kein objektives Kriterium, sondern jedenfalls lediglich intersubjektives.
Das Problem der Nichtanwendbarkeit der Marketcap auf Währungen gerade in Grenzbereichen (alle Einheiten einer Coin in den Händen einer Person) trifft bei den "großen" Coins sicherlich nicht zu, bei kleinen Coins ist es aber zu starken Verzerrungen geeignet.
P.S.: Mein Dank an Christoph Bergmann, der mich dazu gebracht hat, noch einmal kritisch über meine Ablehnung der Marketcap nachzudenken. Es Ann nie schaden, die eigenen Überzeugungen gelegentlich einmal auf den Prüfstand zu stellen, auch wenn das, wie in diesem Fall, durchaus mit erheblicher Arbeit verbunden ist.