Sehr hilfreicher Post, weil der zitierte Artikel des RA István Cocron, CLLB Rechtsanwälte, zeitweise in der Community für große Beunruhigung gesorgt hat. Mich würde interessieren, ob die beabsichtigten Telefonate ("Ich werd mal morgen bisschen telefonieren.") weitere Aufklärung ergeben haben. Interessant wäre ja insbesondere, ob es Stellungnahmen des betreffenden Finanzamts gibt und ob der im Artikel behauptete Steuerbescheid wirklich existiert.
Nochmal als ergänzung zu diesem Artikel auf aus der besagten Gruppe:
"Es mag sein, dass ein solcher Bescheid zunächst existiert bzw. ergangen ist. Wenn man die Verfahrensweise und die Abläufe in der FinVerw. kennt, würde das nicht überraschen.
Die Aussagen aber in Bezug auf den Punkt, dass die EuGH Rechtsprechung nicht in deutsches Recht umgesetzt und somit nicht bindend sei, lockt mir nur ein Lächeln hervor 😁😁😁😁.
Zumindest in der Umsatzsteuer ist das hahnebüchener Unsinn.
Für diese ☝️ gilt nämlich aufgrund der sog. MwStSystRL vereinfacht ausgedrückt der Grundsatz: wenn eine Behandlung entsprechend EU- Vorgaben zu einem anderen Ergebnis führt, kann sich jeder Steuerpflichtige direkt(!) auf die -günstigere- EU-Vorgabe berufen und das Finanzamt muss (!) dies berücksichtigen.
Insofern ist der Artikel absoluter Quatsch und ich nehme ihn als ‚Anekdote‘ in meine Sammlung ‚zum schmunzeln‘ auf.. 😉🤓
(Ps: ich bin selbst ehemalige Umsatzsteuer-Sonderprüferin und nunmehr Steuerberaterin)"
Sehe ich als Jurist genauso. Beruhigend, dass du als ehemalige Sonderprüferin anders, also im Sinne des EuGH, entschieden hättest. EuGH-Entscheidungen sind kein abgehobener Spaß, sondern für alle deutschen Behörden grundsätzlich bindend. Deinen (ehemaligen) Sonderprüfer-Kollegen kann man nur dringend empfehlen, mal in einen Grundkurs Europarecht zu investieren.
Falls dich (und andere hier) noch genauer, als du schon richtigerweise geschildert hast, der juristische Hintergrund interessiert: Wenn man das einschlägige EuGH-Urteil in der Rechtssache Hedqvist vom 22. Oktober 2015 und den Text der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) liest, wird sofort deutlich, worauf das "Missverständnis" des Finanzamts hier offenbar beruht und weshalb der zuständige Prüfer auf die falsche Fährte geraten ist. Zentrales Argument des Finanzamts scheint ja zu sein, dass die EuGH-Entscheidung nicht in deutsches Recht "umgesetzt sei". Prinzipiell stimmt es, dass europäisches Richtlinienrecht zunächst einmal durch den nationalen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden muss. Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt, den das Finanzamt offenbar nicht gesehen hat: Die Regelungen der europäischen MwStSystRL sind ja bereits in das aktuell geltende deutsche UStG eingeflossen. Die Umsetzung hat also bereits stattgefunden. Nach erfolgter Umsetzung muss man aber das UStG in Zweifelsfragen (und hierzu gehört die Bitcoin-Frage) stets im Lichte der zugrundeliegenden MwStSystRL lesen. Das nennt man Pflicht zur europarechtskonformen (insb. richtlinienkonformen) Auslegung nationalen Rechts. Diese Pflicht ist in zahllosen EuGH-Entscheidungen durchdekliniert und in ebenso zahllosen wissenschaftlichen Stellungnahmen festgestellt. Zu den Vorschriften, die entsprechdend richtlinienkonform auszulegen sind, gehört natürlich auch die Vorschrift des § 4 Nr.8 Buchst.b UStG, die Umsätze von "gesetzlichen Zahlungsmitteln" von der Umsatzsteuer befreit. Diese Befreiungsvorschrift mochte der Sonderprüfer aber offenbar nicht anwenden, weil Bitcoins nunmal kein gesetzliches Zahlungsmittel sind. Vom reinen Wortlaut her zunächst in Ordnung. Auch die Richtlinie spricht in Art. 135 Abs. 1 Buchst. e zunächst nur von "gesetzlichen Zahlungsmitteln", deren Umsätze von der Steuer befreit sind. Was der Prüfer aber übersehen hat: Der blosse Wortlaut ist hier nicht entscheidend. Gemäß dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Hedqvist sind vielmehr Kontext und Zweck der Richtlinienregelung maßgeblich. Und diese erfordern es nach Auffassung des EuGH, den Bitcoin umsatzsteuerrechtlich (!) den gesetzlichen Zahlungsmitteln gleichzustellen, also von der Umsatzsteuer auszunehmen. Das EuGH-Urteil stellt dabei wie gesagt entscheidend auf den Kontext und den Zweck der Richtlinienregelung ab. Aus juristischer Sicht kein erstaunlicher, sondern alltäglicher Vorgang, vollkommen lege artis. Der Prüfer hätte also richtigerweise hier ohne weiteres die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr.8 Buchst.b UStG anwenden müssen und zwar richtlinienkonform interpretiert gemäß dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Hedqvist.
Auch wenn es sich für Nicht-Juristen zunächst so anhören mag: Das alles ist keine Raketenwissenschaft, sondern Grundkurs Europarecht und - wie ich durch deinen Post sehe - grundsätzlich auch bei Finanzämtern geläufig. Nur leider offenbar nicht in Bonn. Aus meiner (unmassgeblichen) Sicht kann der Steuerbescheid des Finanzamts im Ergebnis keinen Bestand haben; in genau dieser Weise verstehe ich auch deinen Post und den Tenor hier im Thread. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Finanzverwaltung dem Einspruch selbst abhilft und nicht auch noch Gerichte mit dieser unnötigen Angelegenheit befasst werden.
Bleibt noch zu erwähnen, dass ich zwar Jurist bin, meine obigen Ausführungen aber allein als Diskussionsbeitrag zu verstehen sind, anhand deren sich jeder Interessierte seine eigene Meinung bilden sollte. Den Fall kenne ich (wie wohl alle hier) nur vom Hörensagen. Mein Beitrag ersetzt in keinem Fall eine anwaltliche Beratung im konkreten Fall. Ich übernehme aufgrund des Beitrags niemandem gegenüber eine Haftung.
Gut zu lesen, an dieser Stelle möchte ich nochmal betonen das ich hier nur zitiert habe und ich nicht die angesprochene Umsatzsteuer-Sonderprüferin bin. Hab es noch einmal FETT markiert, vll wird es dadurch deutlicher.