Es entspräche jedenfalls auch den Erwartungen, die man unter Rückgriff auf die historische Betrachtung praktisch jeder anderen Epidemie hätte.
Deshalb wurden die "Herbst-Maßnahmen" zu spät und zu inkonsequent umgesetzt.
Dieses Versagen verdanken wir dabei nicht zuletzt auch der föderalen Organisation des Infektionsschutzes, der eine Art "Wettbewerb der Lockerungen" unter den Bundesländern mit sich brachte.
Die Politik war letzten Endes getrieben von den Forderungen der Bürger (was in einer Demokratie ja auch stets so gewollt ist).
Anders gesagt: wenn die Bürger in Masse wollen, dass man im Zweifel eben ein paar Leute mehr sterben lässt, damit man noch ein paar Tage länger ohne Lockdown auskommt, dann bleibt der Politik auch in meinen Augen nicht viel anderes übrig, als sich dem zu beugen.
In einer "reinen" Demokratie.
In einer rechtsstaatlichen Demokratie aber müsste die Politik dem nicht folgen.
Nur würde ich schon dazu tendieren, hier in Teilen auch vorauseilenden Gehorsam der Politik, welcher weit über die Erwartungen der Bürger hinausging, zu konstatieren.
Deutlicher gesagt: die Deutschen hätten sicherlich die Vermeidung eines Lockdown vorgezogen, soweit so trivial.
Die Politik hat diesem Wunsch weitestgehend entsprochen, und ihn IMHO teilweise übererfüllt.
Ich bin kein Experte, kein Epidemiologe, Virologe oder dergleichen, aber nach allem, was ich erkennen kann, geht der wissenschaftliche Konsens dahin, dass wir in unseren Schutzmaßnahmen weit hinter dem Sinnvollen und teils auch Notwendigen geblieben sind.
Das ist im Rahmen einer demokratischen Konsensbildung auch in gewisser Weise unvermeidbar.
Verantwortlich ist die Politik hier allenfalls, soweit sie auf eigene Faust ohne weitgehende Zustimmung der Bürger gehandelt hätte.
Das aber kann ich nicht in größerem Umfang erkennen.
Die zweite Welle wurde zu halbherzig angegangen.
Weil die Bürger halt lieber das "Sommerfeeling" verlängern wollten.
Das muss man dann auch so akzeptieren, aber die Frage, wer nun für die Toten des Frühherbsts verantwortlich zu machen ist, darf man auch ruhig mit dem Verweis auf die Bürger selbst beantworten.
Und wenn die Bürger heute zu dieser Verantwortung stehen, ist auch das in gewissem Umfang hinzunehmen.
Als "Rawlsianer" erkenne ich hier aber eine Verletzung der Rechte und Ansprüche der Schwächsten der Gesellschaft, weshalb ich den Gesellschaftsvertrag in dieser Hinsicht in gewisser Weise als aufgekündigt betrachten möchte, und eine Verletzung der Verantwortung jedes Mitglieds dieser Gesellschaft für die anderen sehe.
Und das führt mich dann dazu, hier zu kritisieren, wenn auch noch weitere Lockerungen zulasten der Schwächsten (unqualifiziert) gefordert werden.