Insgesamt würde ich aber dazu tendieren, daß wir nicht immer sofort andere Akteure kritisieren für das, was sie vielleicht unserer Meinung nach versäumt haben oder auf der anderen Seite diese Leute in den Himmel heben, weil sie vielleicht alles richtig machen.
So recht du damit sicherlich hast, so naiv ist es zugleich IMHO, daran zu glauben, es würden nicht im Laufe der Krise oder im Zuge der Aufarbeitung auch Sündenböcke & Helden gesucht.
Ich gehe weiterhin davon aus, dass uns im Zuge von Corona massive gesellschaftliche Verwerfungen bevorstehen.
Wenn China als erfolgreicher wahrgenommen wird in der Bewältigung, hat das eine Signalwirkung auf den Rest der Welt, ob die Demokratien westlicher Prägung weiterhin über die Strahlkraft als leuchtendes Vorbild verfügen.
Wenn China nun in der Krise mehr Unterstützung für krisengebeutelte Länder der zweiten und dritten Welt schickt, wird das geopolitische Konsequenzen haben.
Dies kombiniert mit dem ohnehin vorhandenen und in den letzten Jahren in den Vordergrund getretenen Anspruch auf chinesische Dominanz ist ein Brandbeschleuniger für die Neuausrichtung der Weltpolitik.
Donald Trump wird in die Geschichte eingehen als der Präsident, unter dessen Ägide der US-amerikanische Weltherrschaftsanspruch final sein Ende fand. Soviel zu "America first".
Vergleichbar gilt das natürlich auch für die innereuropäische Politik.
Wenn autokratische Regimes auch nur den Anschein erwecken können, sie würden mit der Krise besser fertig, und / oder das Virus wäre eine Bedrohung von Außen, derer man sich mit Abschottung und Überwachung besser stellen könnte, und zugleich die Europäische Union in der Krisenbewältigung versagt, wird dies nicht nur den europäischen Einigungsprozess bremsen, sondern ist möglicherweise in der Lage, ihn sogar wieder umzukehren.
Zugleich mit diesen geopolitischen Verwerfungen kommt es zu einem massiven Eingriff des Staats in die Privatwirtschaft, und damit der Auflösung des Mantras der vergangenen 30 Jahre, nach dem die Privatwirtschaft der allein seeligmachende Akteur in der Deckung des Bedarfs komplexer Gesellschaften wäre.
Die Staatsquote wird wohl in nahezu allen Volkswirtschaften in den kommenden Monaten und Jahren massiv nach oben schnellen, und damit auch die Breitenwirkung und letztlich Macht der politischen Akteure.
Ganz nebenbei entsteht der Eindruck, dass Big Data gelingen könnte, sich als Überwachungsstaat im Staat zu etablieren, dem bereits heute fast magische Fähigkeiten in der Krisenbewältigung nachgesagt werden. Womit es zumindest schwierig wird, weiterhin das Recht auf Privatsphäre, Anonymität und individuelle Freiheiten gegenüber diesen modernen Akteuren der totalen Überwachung zu verteidigen.
Ich bleibe dabei, Corona wird wohl als gewaltige Zäsur des beginnenden 21. Jahrhunderts in die Geschichtsbücher eingehen.
Das Ende der US-amerikanischen Dominanz.
Der endgültige Beginn des chinesischen Zeitalters.
Das mögliche Ende des europäischen Traums.
Die Aushöhlung individueller Bürgerrechte.
Der Rückfall in eine staatlich dominierte Wirtschaft.
Das Ende des ungezügelten Finanzmarktkapitalismus.
Es ist doch daß, daß wir alle keine 100%ige Lösung für die jetzige Situation haben und längst nicht wissen, welche Maßnahmen vielleicht hinterher als eher sinnvoll oder eher nicht sinnvoll betrachtet werden müssen.
Das Problem dürfte sein, dass jeder glaubt, seine eigenen Maßnahmen wären die richtigen.
Hinzu kommt, dass die Politiker ein Interesse daran haben, den Bürgern zu vermitteln, ihre Lösungen wären die richtigen.
Die Bürger wiederum werden vorsichtig über den Tellerrand hinausschauen und sehen, dass die Lösungen der anderen möglicherweise richtiger wirkten (und sei es auch nur, weil die Voraussetzungen ganz andere waren, das ist dem Bürger aber nicht immer klar).